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Bildungs- und Hochschulpolitik

Student Nadir auf dem Weg zum Gebet

Die Moschee vor Hörsaal 1

Autor :  Jan-Peter Bartels
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 01.08.2003

Zwischen Uni, Religion und Terrorismusverdacht: Eine Reportage über die kleinen Hindernisse im Leben muslimischer Studenten in Deutschland. Von Jan-Peter Bartels


Am frühen Freitag Nachmittag mischt sich in das Stimmengewirr in den Gängen der Uni Bonn ein melodischer Gesang: "Allahu akbar", Gott ist groß, hallt es kurz nach zwei Uhr kaum hörbar durch den Südturm. Der Gesang kommt aus dem ersten Stock. Hier ruft der 25jährige Nadir in leisen, arabischen Kadenzen zum Gebet.

Zwischen den Türen von Hörsaal eins und dem Treppenhaus haben Nadir und Fatih vier lange Bahnen eines dicken, roten Teppichs ausgerollt. So wird der Uni-Flur zum Gebetshaus umfunktioniert. Allerdings nur am Freitag, wenn es eine feste Zeit für das Mittagsgebet gibt. An den anderen Tagen müssen die muslimischen Studenten zur nächsten Moschee gehen, denn die Universität kann ihnen keinen Raum zur Verfügung stellen - aus Platzmangel. "Man kommt sich schon etwas entblößt vor", sagt Nadir nach dem Ruf zum Gebet, dem adhân. Ohne diesen Platz vor Hörsaal eins wäre es für die muslimischen Studenten schwierig, ihre Glaubenspflichten zu erfüllen: "Das Gebet ist einer der Grundpfeiler des Islam. Für einen Muslim ist es sehr wichtig, dass er die fünf Gebete am Tag einhält: morgens, mittags, nachmittags, abends und nachts," erklärt Nadir. Mit einer Umarmung begrüßt er seine nach und nach eintreffenden Glaubensbrüder.

Keine Zeit für den Gang zur Moschee

"Es gibt ja wirklich Raumnot an der Uni Bonn", sagt Nadir und zuckt mit den Schulten und Haluk fügt hinzu: "Insofern ist es gut, dass wir Freitags hier auf dem Flur beten dürfen. Es ist zwar etwas ablenkend, aber besser, als zwischen zwei Vorlesungen zur nächsten Moschee laufen zu müssen." Bisher habe noch niemand das Gebet gestört oder sich beschwert.

Insgesamt fühlen die beiden sich in Deutschland wohl, trotz gelegentlichen Ressentiments, Rasterfahndung und Terrorismusverdacht: "Ich bin hier geboren und aufgewachsen und habe bisher eigentlich nur gute Erfahrungen gemacht. Wir sehen uns als einen produktiven Teil der Gesellschaft und das heißt: Deutschlands Probleme sind auch unsere Probleme," sagt Nadir. Dass das BKA einen Datensatz mit der Aufschrift "Nadir Moubarrid" besitzen könnte, läßt ihn kalt: "Ich bekomme da keine Paranoia, warum auch. Im Prinzip ist es allerdings diskriminierend: jung, Moslem, Student - was sind denn das für Kriterien, um jemanden als potentiellen Fundamentalisten einzusortieren!" Dann fügt er hinzu: "Wenn man sich überlegt, was für Konsequenzen das haben kann. Wenn da Fehler passieren, kann sich das sehr negativ auf die Lebensplanung von einem Unschuldigem auswirken..."

Vor dem Gebet wird das Handy ausgeschaltet

Inzwischen haben sich 36 Studenten vor Hörsaal eins versammelt. Die meisten schlüpfen direkt mit einer geübten Bewegung aus ihren Schuhen und betreten den Gebetsteppich - unter den teils verwunderten, teils interessierten Blicken ihrer Kommilitonen, die wenige Meter weiter die Treppe hinauf zur Vorlesung eilen. Auch Fatih steht bereits auf dem Teppich. Er zieht kurz sein Hemd gerade und schaltet schnell das Handy aus. Nadir ist heute der Vorbeter und hält die Freitags zum Mittagsgebet übliche Predigt, die khutba. Für zwanzig Minuten spricht er über Trauer, das Sterben und den rechten Glauben an Gott - auf deutsch. Das Gebet beginnt mit den Worten "Allahu Akbar", dann wird die erste Sure aus dem Koran rezitiert. Es folgt eine Verbeugung, dabei werden die Hände auf die Knie gestützt, dann Wiederaufrichtung, Niederwerfung, Hocken und nochmalige Niederwerfung.

Nach dem Ende des Gebets ziehen die Studenten die Schuhe wieder an, es wird gescherzt und gelacht, einige schmieden Pläne für den Abend. Fatih und Haluk rollen die Gebetsteppiche wieder zusammen und tragen sie zu dem Wandschrank im Erdgeschoss, den die Uni zur Verfügung gestellt hat. "Eines setzt uns wirklich stark zu", sagt Nadir. "In den Medien werden oft bewusst Stereotypen geschürt - oder es wird unbewusst Falsches über uns erzählt. In Diskussionsrunden sind irgendwelche Islamwissenschaftler anwesend, aber kein Muslim. Schon etwas seltsam, oder?"

Um Vorurteile und Vorbehalte abzubauen und den Kontakt zwischen den 1.800 muslimischen Studenten und ihren 34.000 nicht-muslimischen Kommilitonen zu fördern, haben Nadir, Fatih und Haluk Anfang 2001 die Islamische Hochschulvereinigung Bonn gegründet. Seitdem arbeiten die drei auch darauf hin, von der Uni einen eigenen Raum für das Gebet zu bekommen. "Irgendwann wird das auch mit dem Raum klappen", sagt Haluk: "InschAllah - so Gott will."


   


Leserkommentar von Jan-Peter Bartels
am 19.08.2003
Antwort auf: Grenzen der freien Religionsausübung

An deutschen Universitäten ist es üblich, dass die christlichen Konfessionen sozusagen "eingebaute" Kirchen/Gebetsräume haben. Zum einen durch die theologischen Seminare. (ein islamisches theologisches Seminar kann es in Deutschland wegen der gesetzlichen Lage auf absehbare Zeit nicht geben, denn der deutsche Staat erkennt die größte Religion der Erde zwar als Religionsgemeinschaft an, nicht aber als Kirche). Zum Zweiten ist in Bonn die Universitätskapelle evangelisch, direkt vor der Uni stehen zwei katholische Kirchen. Das ist historisch so gewachsen, sollen wir also den Moslimen, Buddhisten und allen anderen Religionen entgegnen: Sorry, zu spät gekommen, wärt Ihr vor 200 Jahren hier gewesen, hätten wir auch für Euch was eingeplant? Wissenschaftler und Studenten müssen eine Möglichkeit haben, ihre Religion auszuüben - das ist ein Grundrecht. Gerade weil es sich bei der Universität um ein öffentliches Gebäude handelt, können Muslime dort beten, wie sieieieieieiei wollen, solange sie dadurch nicht unverhältnismäßig den Betriebsablauf stören. Das ist das Schöne an Grund- und Menschenrechten: sie gelten für alle gleich. Ich bin mir übrigens sicher, dass die meisten Menschen in den islamischen Ländern auch lieber in einem demokratischen Rechtsstaat leben würden. Dass sie es nicht tun, daran ist der Westen alles andere als unschuldig. Der Ansatz "Wir könnten dort unten auch nicht beten, wie wir wollen" ist also unfair. Nicht zuletzt deshalb, weil die meisten der Studenten, über die ich berichtet habe, einen deutschen Pass haben und deutsche Bürger sind. Sollen sie wegen ihrer Religion Bürger zweiter Klasse sein? Religionsausübung an der Uni zu erschweren, ist zudem ein Standortnachteil - warum reden wir dauernd davon, dass wir Deutschland zu einem internationalen Wissenschaftsstandort ausbauen wollen, schaffen aber nicht die elementaren Grundlagen dafür? Zu guter Letzt: Wie man Religionsprobleme friedlich entschärft, bevor sie zu Problemen werden, zeigt der Bundestag: Dort gibt es einen Gebetsraum, der so gestaltet ist, dass er sich für alle Konfessionen und Religionen eignet. Dort beten Christen und Muslime nebeneinander.

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